Bündnis gegen TTIP im Kreis Coesfeld: Offener Brief an die Bundeskanzlerin

Logo-Bündnisjpg2.11.2015

An die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland

Frau Dr. Angela Merkel

Willi-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin,

Offener Brief

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

mit großem Befremden nimmt das „Bündnis gegen TTIP im Kreis Coesfeld“ ihre Rede vom 21.Sept. 2015 auf dem Kongress „Ja zu TTIP! Chancen nutzen, Interessen wahren, Zukunft gestalten“ der CDU/CSU Fraktion zur Kenntnis. Besonders beunruhigend empfinden wir ihre geäußerte Zuversicht, dass das Freihandelsabkommen TTIP bis Ende des Jahres 2015 in Grundzügen zwischen der EU und den USA ausgehandelt sein soll. Warum diese Eile, wo Sie doch wissen, dass dieses Abkommen sehr brisante, geheim verhandelte Positionen enthält, die der Öffentlichkeit und auch dem Deutschen Bundestag nicht hinreichend bekannt sind?

Sie kennen die großen Vorbehalte der Bevölkerung gegen dieses Abkommen und betonen deshalb, dass man gegen die Bedenken argumentieren müsse. Doch argumentieren tun Sie gerade nicht, sondern belegen nur Allgemeinplätze, die ständig zu hören sind, z.B. wie schön mit TTIP die deutsche Autowelt funktioniert, wenn die Autoindustrie 1 Milliarde Dollar an Zöllen einsparen könne, dass man gute Exportbedingungen für mehr Arbeitsplätze brauche, und unsere Standards beim Verbraucherschutz, Umweltschutz, Gesundheitsschutz nicht zur Disposition stünden. Man könnte diese Liste der „Lobpreisungen“ noch beliebig fortsetzen. Doch allein uns fehlt der Glaube! Vielleicht klärt das ein Blick auf den bereits vor Jahren abgeschlossenen NAFTA-Vertrag. Statt des dort versprochenen Wohlstandes entstand auf beiden Seiten, den USA und Mexiko, eine weitgreifende Verarmung der arbeitenden Bevölkerung.

Allein die Tatsache, dass dieses Abkommen nicht transparent und geheim verhandelt worden ist, lässt schon größte Zweifel aufkommen. Wie soll Vertrauen entstehen, wenn die Öffentlichkeit erst nach 5-jähriger Wartefrist Einblick in die Vertragstexte bekommen soll? Wie kann die Bevölkerung gerade einem Vertragspartner, wie den USA, redliche Absichten unterstellen, wenn sie genau von diesem „Partner“ über das Internet total ausgeforscht wird und persönliche Datenverletzungen an der Tagesordnung sind!? Und wie kann man jemandem vertrauen, der dem erklärten Nichtatomwaffenstaat Deutschland eine atomare Teilhabe an Atombomben zumutet, die unter USKommando auf einem deutschen Fliegerhorst gelagert sind, modernisiert werden sollen und uns damit der Gefahr eines Erstschlages im Konfliktfall aussetzen!?

Jenseits des fehlenden Vertrauens in den Vertragspartner interessiert uns insbesondere eine Antwort auf die Fragen, ob es durch TTIP und CETA möglich wird, dass Billigprodukte aus gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren in Nahrungsmitteln verarbeitet unsere Märkte überschwemmen können, gentechnisch verändertes Saatgut gegen den ausdrücklichen Willen der Bevölkerung auf unseren Böden ausgebracht werden darf und ob unter Verdrängung der staatlichen Daseinsfürsorge eine Privatisierung des Trinkwassers zu befürchten ist. Denn wer über die Nahrung und das Trinkwasser die Kontrolle gewinnt, kann die Welt beherrschen.

Eine nicht weniger dringende Frage konzentriert sich auf die privaten Schiedsgerichte zur Regelung von Rechtsstreitigkeiten. Tatsache ist, dass solche privat ausgehandelten Streitigkeiten durch Firmenanwälte unter Ausschluss der Öffentlichkeit sich jeglicher Kontrolle durch nationale Gerichte und Parlamente entziehen. Wenn diese Schiedssprüche bindende Wirkung haben, wird es dem nationalen Gesetzgeber unmöglich gemacht, regulierend in Fehlentwicklungen einzugreifen, weil der Staat sonst mit horrenden Schadensersatzforderungen von klagenden Konzernen rechnen müsste, gegen die ihm der ordentliche Rechtsweg abgeschnitten wird. Die neuste „Kreation“ aus den Reihen der Bundesregierung, statt der Schiedsgerichte, einen mit EU- und US- Berufsrichtern zu besetzenden Handelsgerichtshof zu errichten, ändert an dieser Problematik überhaupt nichts, weil  sich dieser gemischte „Fantasiegerichtshof“ in keine staatliche Struktur einbinden lässt und nicht einfach so im „staatlich luftleeren Raum“ errichtet werden kann. Es würde also auch hier nur eine private Schiedsgerichtsbarkeit mit anderer Besetzung entstehen, die lediglich der Bezeichnung nach den Eindruck einer staatlichen Institution erweckt. Die Überlegung, ob dann US-Firmen über Ableger in Kanada, mit dem das Freihandelsabkommen CETA schon ausgehandelt ist, die private Schiedsgerichtsbarkeit nutzen könnten, statt vor einen „Handelsgerichtshof“ ziehen zu müssen, wie DER SPIEGEL 39/ 2015 auf S. 63 feststellt, spielt also gar keine Rolle. Außerdem dürfte Ihnen, Frau Bundeskanzlerin Merkel, bekannt sein, dass sich die USA auf einen solchen „Deal“ erst gar nicht einlassen werden, weil die US-Regierung schon hat klar stellen lassen, dass das Freihandelsabkommen nur als Ganzes in seiner gegenwärtigen Form angenommen oder abgelehnt werden könne. Bei dem in Aussicht gestellten Handelsgerichthof dürfte es sich daher lediglich um eine PR-Aktion handeln, die dem braven Bürger vorgaukeln soll, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Wie soll also sicher gestellt werden, dass über Streitigkeiten, die auf deutschem Boden aufgrund von TTIP, CETA und TISA entstehen, auch von deutschen Gerichten entschieden werden kann? Aus unserer Sicht würde Deutschland im Falle eines Abkommens um ein „Potjemkinsches  Dorf“ reicher, aber an Demokratie ärmer werden. An dieser Stelle noch ein Hinweis auf Flüchtlinge z.B. aus Afrika. Ein guter Teil dieser Menschen wird durch Freihandelsverträge der EU mit afrikanischen Staaten um ihre Existenz gebracht und landet dann als Flüchtlinge in Europa.

Es gibt also eine Menge Ungereimtheiten rund um die Freihandelsabkommen, weshalb sich das „Bündnis gegen TTIP im Kreis Coesfeld“ dafür einsetzt, dass die Bevölkerung gegenüber der Gefährdung von Demokratie und Rechtsstaat durch TTIP, CETA u. TISA wach und sensibilisiert bleibt, um zu verhindern, dass sich der Bundestag durch vorschnelles Durchwinken der Freihandelsverträge mit der Mehrheit der Abgeordneten von CDU/CSU und SPD vor einem schlafenden Publikum selbst entmachtet. Denn wir stehen für eine lebendige Demokratie und wollen kein teilentmachtetes Parlament, das sich in Zukunft vor US-Konzernen beugen muss.

Das „Bündnis gegen TTIP im Kreis Coesfeld“ lädt Sie, Frau Merkel, herzlich nach Coesfeld ein, um Ihnen einmal die Gelegenheit zu geben vor einem kritischen Forum Ihre Vorstellungen zu den Freihandelsabkommen, TTIP, CETA und TISA zu erläutern und unsere Fragen zu beantworten. Wir können versichern, dass wir Ihnen eine „Chlorhühnchen-Debatte“ nicht bieten werden. Eine ordentliche Küche können Sie schon erwarten.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Joachim F. Gogoll

Sprecher Attac-COE und Bündnis gegen TTIP im Kreis Coesfeld

 

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