Oberst a. D. Wolfgang Richter: Eine Lehrstunde in Abrüstungsdiplomatie

Dülmen. „Wir erleben zurzeit die ernsteste Krise in den Beziehungen zwischen dem Westen und dem Osten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Ende des INF-Vertrags spitzt diese noch zu!“ Deutliche Worte der Mahnung fand am Donnerstagabend Oberst a.D. Wolfgang Richter bei einer Veranstaltung der Friedensfreunde Dülmen, der Friedensinitiative Nottuln und des Friedenskreises Senden. Zum zweiten Mal hatten die Friedensgruppen den Abrüstungsexperten zum Vortrag ins evangelische Gemeindezentrum Dülmen eingeladen.  Ein möglicher Weg aus der Krise nach dem Ende des INF-Vertrags sei es, wenn Russland und europäische Staaten signalisieren würden: Wir werden keine neuen atomare Mittelstreckenraketen stationieren!

Richter, langjähriger Generalstabsoffizier im Verteidigungsministerium, heute aktiv in der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und Mitarbeiter der „Stiftung Wissenschaft und Politik“, beriet über Jahrzehnte Politiker bei Abrüstungsverhandlungen und überwachte selbst die Verschrottung von Mittelstreckenraketen. Sein Vortrag zur Geschichte des INF- Vertrags und der Lage, die nach der Kündigung dieses Vertrages entsteht, wurde denn auch zur Geschichts- und Lehrstunde über die militärstrategische Lage und die Versuche, vor allem die nukleare Aufrüstung zu kontrollieren, zu begrenzen und zu reduzieren. Zwischen 1980 und 2005 habe es auch erhebliche Verringerungen bei allen Gattungen der Atomwaffen gegeben, was die Welt sicherer mache. Erst in den letzten Jahren habe sich das Klima für Gespräche verschlechtert. Richter machte deutlich, wie wichtig Gespräche mit allen Konfliktparteien sind und wie man Vertrauen durch gegenseitige Kontrollen herstellen kann. Man müsse ja nicht die Interessen der jeweils anderen Seite teilen, so der Berater, aber man müsse sie als legitim für die jeweilige Partei akzeptieren, wenn man bei Abrüstungsmaßnahmen weiterkommen wolle.

Es werde kaum gelingen, den INF-Vertrag zu erneuern, auch weil mittlerweile andere Staaten Mittelstreckenraketen besitzen – allerdings mit weniger nuklearen Sprengköpfen. Ungelöst sei die Gefahr durch Marschflugkörper, die heute sowohl atomare als auch konventionelle Sprengköpfe haben können, was Kontrollen erschwere. Die Hoffnung des Experten richtet sich nun auf eine Verlängerung des NEW START-Abkommens für fünf Jahre, um dann dort die Begrenzung der Mittelstreckenwaffen neu aufzunehmen. Es habe in der Vergangenheit auch außerhalb von Verträgen erfolgreiche Einigungen zwischen Russland und den USA gegeben. Es sei unbedingt nötig, eine neue Stationierung in Europa zu verhindern – denn das Gefechtsfeld läge dann genau bei uns.

Das Publikum hatte im Anschluss an den faktenreichen Vortrag noch viele Fragen an den Referenten, so dass die Veranstaltung erst nach drei Stunden zu Ende ging.

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