Ein Gedanke zu „GOGOlls O-Ton August 2020 – Joachim im Klartext

  1. Bernd Lieneweg Beitragsautor

    Bei Veröffentlichungen muss man höllisch aufpassen: Was ist demokratische Freiheit, was ist Lüge oder bewusste Irreführung? Wer ist Opfer und wer ist Täter? Wer verfolgt welches Ziel?

    Dazu hat Stefan Rahmstorf im Spiegel geschrieben:

    Klima- und Coronakrise: Fünf Desinformations-Tricks, die jeder kennen sollte
    Ein Gastbeitrag von Stefan Rahmstorf 05.06.2020, 11.08 Uhr

    Covid-19 ist nicht schlimmer als die normale Grippe? Bill Gates hat die Coronakrise erfunden? Die Leugner wissenschaftlicher Erkenntnisse verwenden immer wieder dieselben Methoden, um ihr Laienpublikum zu verführen.
    Haben Sie auch solche Nachrichten über soziale Medien bekommen: Covid-19 ist nicht schlimmer als die normale Grippe? Und wird in Wahrheit durch Bakterien, nicht Viren verursacht? Bill Gates hat die Coronakrise erfunden, um die Menschheit zwangsweise zu impfen? Atemmasken sind gefährlich, weil sich dahinter Kohlenmonoxid und Kohlendioxid staut? Ich verlinke die Quellen absichtlich nicht, denn es sind Falschmeldungen.
    Aber womöglich haben Sie doch gezögert, ob vielleicht etwas dran sein könnte? Und sich gefragt: Wie kann ich unwissenschaftliche Falschmeldungen erkennen?
    Das ist nicht immer einfach. Aber es hilft zu wissen, mit welchen Tricks die Urheber von Desinformation arbeiten. Egal ob es um die Ursache von Aids, die Evolutionstheorie, den Klimawandel oder jetzt um Corona geht: die Leugner wissenschaftlicher Erkenntnisse verwenden immer wieder dieselben fünf Tricks, um ihr Laienpublikum zu verführen.
    Diese fünf Tricks wurden 2009 in einem Aufsatz von Pascal Diethelm und Martin McKee in der wissenschaftlichen Zeitschrift „European Journal of Public Health“ beschrieben, und mit etwas Übung kann sie auch ein Laie durchschauen. Das griffige Schlagwort für die fünf Tricks lautet PLURV. Diese Abkürzung steht für:
    P – Pseudoexperten
    Um eine Gegenthese zum etablierten Wissensstand zu lancieren, werden oft Pseudoexperten aufgeboten. Die haben keine eigenen relevanten Forschungsleistungen vorzuweisen, vorzugsweise aber Professorentitel oder Ähnliches, was für den Laien nach Kompetenz klingt. Häufig allerdings sind sie keine Experten in dem Fachgebiet, zu dem sie sich äußern. Nicht selten handelt es sich um lange pensionierte Herren. Das kann bedeuten, dass sie sich nicht mehr mit der Forschung beschäftigen und nicht auf dem aktuellen Stand sind.
    Durch Wissenschaftsdatenbanken wie Scopus oder Web of Science ist leicht ersichtlich, wer ernsthaft zu einem Thema forscht. Kostenfrei für jeden zugänglich ist Google Scholar. Dort sieht man sofort, dass Christian Drosten Hunderte Fachpublikationen in der Virologie hat, die Zehntausende Male von anderen Studien zitiert wurden – viele davon zu Coronaviren. Von Wolfgang Wodarg, der jede Gefahr durch das neue Coronavirus bestritten hat, findet Google Scholar zwar einige Meinungsbeiträge, aber keine relevante Forschungsarbeit.
    L – Logikfehler
    Ein Beispiel: „In Deutschland sind nur 8500 Menschen mit Corona gestorben – daher waren die Gegenmaßnahmen unnötig oder mindestens überzogen.“ Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Dank der Maßnahmen sind relativ wenige Menschen gestorben. Einige Länder haben weniger gut reagiert. Das von einem Wissenschaftsleugner regierte Brasilien überholt gerade die USA bei Neuinfektionen. Und Schweden, das auf freiwillige Maßnahmen setzte, ist inzwischen Weltspitze bei den täglichen Todesfällen pro Einwohner.
    Einer der klassischen Logikfehler beim Klimawandel ist die These, das Klima habe sich schon immer geändert, also sei der Mensch nicht schuld. Das ist so, als fände man eine Leiche mit einem Messer im Rücken und würde argumentieren, Menschen würden von Natur aus sterben, also sei dies kein Mord. Die Ursache der modernen globalen Erwärmung ist zweifelsfrei nachgewiesen.
    U – Unerfüllbare Erwartungen
    Zweifler fordern gern unmögliche Beweise – etwa, dass bei den Toten mit Corona bewiesen werden muss, dass sie nicht nur mit, sondern auch an dem Coronavirus gestorben sind. Oder den experimentellen Nachweis, dass die globale Erwärmung durch den CO2-Anstieg verursacht wird. Die Grundlage – dass CO2 langwellige Strahlung einfängt – ist freilich seit 1869 experimentell im Labor bewiesen, aber das reicht den Leugnern nicht. Ein Experiment mit der ganzen Erde muss her. Das kann man freilich nur einmal durchführen – wir stecken gerade mittendrin und sind die Versuchskaninchen.
    R – Rosinenpickerei
    Gute Wissenschaftler wollen die Welt verstehen – und wägen dazu alle verfügbaren Informationen kritisch ab. Ideologen wollen ihre vorgefasste Meinung bestätigen, picken sich dazu die passenden Daten heraus und übersehen geflissentlich einen Berg gegenläufiger Belege. Wer die Coronakrise verharmlosen will, sucht sich einige Studien heraus, die eine möglichst geringe Sterblichkeit der Infizierten ergeben – was an zu kleinen oder nicht repräsentativen Stichproben oder an unzuverlässigen Tests liegen kann. Sie übersehen viele andere Studien und das, was an den Orten geschah, wo Corona sich stark verbreitet hat.
    In New York City starben 0,25 Prozent an Corona – und zwar der Gesamtbevölkerung, nicht der Infizierten. Die Sterberate unter den Infizierten liegt nach aktuellem Forschungsstand aus verschiedenen Ländern zwischen einem halben und einem Prozent. Selbst für ganze Länder sticht die Coronakrise in der Gesamtsterblichkeit heraus; in Frankreich wird die Höhe des Corona-Peaks in den letzten 50 Jahren nur durch die Hitzewelle 2003 übertroffen.
    Auch diese Rosinenpickerei kennt jeder Klimaforscher – mal kühlt die Erde sich angeblich ab, mal sinkt der Meeresspiegel (Björn Lomborg), oder es gibt einen Rekordzuwachs an Polareis (nämlich wenn im Winter in der Polarnacht der arktische Ozean wieder zufriert, nach einem Rekordminimum im Sommer). Oder es gibt gerade kaltes Wetter dort, wo man wohnt.
    V – Verschwörungsmythen
    Um wahr zu sein, würden viele Fake-Geschichten eine atemberaubende Inkompetenz von Wissenschaftlern erfordern. Doch natürlich können professionelle Virologen Viren von Bakterien unterscheiden. Und ja – professionelle Klimaforscher wissen, dass das Klima sich schon vor dem Einfluss des Menschen geändert hat. Klimaforscher haben das selbst detailliert dokumentiert und benutzen die natürlichen Klimaveränderungen schon seit Jahrzehnten, um Modelle zu testen und um die Empfindlichkeit des Klimas gegenüber Störungen zu quantifizieren.
    Da Wissenschaftler wohl kaum so inkompetent sein können, wird eine große Verschwörung der Forscher behauptet, die gezielt Daten fälschen und die Öffentlichkeit täuschen. Allerdings würde es sich dabei um eine extrem große, internationale Verschwörung handeln, deren wasserdichte Organisation ziemlich unmöglich ist. Zum Stichwort „Klimawandel“ etwa erscheinen jährlich über 20.000 Studien in der Fachliteratur, von Forschern aller Kulturen und politischen Vorlieben, die nichts lieber täten, als etwas sensationell Neues, Anderes belegen zu können als den langweiligen „Mainstream“.
    Wer sich unsicher ist, was von Außenseiterthesen zu halten ist, dem helfen die Webportale sciencefeedback.co (sowohl zu Klima als auch Gesundheit) sowie klimafakten.de und skepticalscience.com (nur zum Klima).
    Doch nicht nur die PLURV-Methode gleicht sich – es sind auch häufig dieselben Leute, die Corona- und Klimakrise herunterspielen. Angefangen mit Donald Trump, der in beiden Fällen die gleichen Argumente verwendet hat, von „Es ist ein Scherz“ bis „China ist schuld“.
    In den USA sind weitere Beispiele Alex Jones von Infowars und Thinktanks wie das Heartland Institute, in Australien der Kolumnist Andrew Bolt, in Europa Björn Lomborg und die vorwiegend aus älteren Herren bestehende Gruppe, die sich etikettenschwindlerisch „Europäisches Institut für Klima und Energie (EIKE)“ nennt, aber freimütig bekennt „wir brauchen keine Klimaforscher“.
    Die Behauptungen dieser Menschen und Organisationen haben offensichtlich mehr mit deren Weltanschauung – häufig mit der starken Abneigung gegenüber staatlichen Maßnahmen wie Klimaschutz oder der Corona-Prävention – zu tun, als mit einer Wissenschaftsdebatte. Es sind Menschen, die sich lieber durch Wunschdenken leiten lassen, als mutig und nüchtern auch einer unerfreulichen Realität ins Auge zu blicken.

    Zur Person
    Stefan Rahmstorf schreibt regelmäßig für den SPIEGEL über die Klimakrise. Er ist Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit 2000 ist er zudem Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme.

    https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/corona-krise-und-klimawandel-fuenf-desinformations-tricks-die-jeder-kennen-sollte-a-6892ff9b-fb28-43ae-8438-55b49d607e57

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