Wirtschaft im Journal – der Anfang ist gemacht, am 23. März geht´s weiter

Die erste Sitzung von „Wirtschaft im Journal“ war ein gelungener Auftakt. Witold Wylezol vom Kulturforum Arte e.V. in Münster konnte etwa 25 Besucher mit seiner Einführungsveranstaltung für das Thema „Alternative Wirtschaft“ interessieren. Drei jedem im Internet zugängliche Videobeiträge stellten das Anliegen der Reihe vor, hier noch einmal zum Nachschauen:

Bei der anschließenden Diskussion wurde das Eingehen auf Einzelthemen für den Fortgang der Reihe gewünscht. Hier wurde vorgeschlagen, sich genauer mit den Freihandelsabkommen zu befassen oder ganz grundlegend erst einmal herauszuarbeiten, wie es dazu kommen konnte, dass die neoliberale Wirtschaftsordnung sich so menschenverachtend und demokratiezerstörend entwickelt hat. Auch die Vorstellungen konkreter alternativer Ökonomen  seien interessant, man müsse sie einzeln analysieren und diskutieren.

Joachim F. Gogoll von Attac COE, Betriebs- und Volkswirt und Mitglied der sog. Memo-Gruppe von alternativen Wirtschaftswissenschaftlern, stellte klar, dass ein Staat, dessen Regierung das Gemeinwohl einer Gesellschaft als Ziel haben müsse, nicht wie ein Betrieb geführt werden dürfe, bei dem es letztlich nur um den wirtschaftlichen Erfolg gehe. Wirtschaftsmodelle von Wissenschaftlern, die nicht dem allgemeinen Strom der neoliberalen Ausrichtung folgen, gebe es durchaus, aber sie fänden in den Medien kaum Beachtung, weil es in den Medien keine ausgeglichene Berichterstattung mehr gebe.

Man darf gespannt sein, wie Witold Wylezol diese Vorschläge am 23. März beim zweiten Termin im Journal umsetzen wird.

7 Gedanken zu „Wirtschaft im Journal – der Anfang ist gemacht, am 23. März geht´s weiter

  1. Hömberg

    Nach der tiefgreifenden Veränderung der Wirtschaftssystematik in den letzten Jahrzehnten, weg von der sozialen hin zur neokapitalistischen Marktwirtschaft mit ihrer totalen Marktideologie brauchen wir dringend Alternativen.

    Die Weissagung der Cree ist aktueller denn je:
    „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“
    (Englische Version: Only after the last tree has been cut down / Only after the last river has been poisoned / Only after the last fish has been caught / Then will you find that money cannot be eaten.)

    https://de.wikipedia.org/wiki/Weissagung_der_Cree

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  2. W. Wylezol

    Wir können sehr viel lernen von den alten Griechen. Bereits bei der damaligen großen Wirtschaftskrise 7. / 6. Jh. v. Chr. gab es ähnliche Probleme wie heutzutage: Überschuldung von Privatpersonen, Unternehmen und Städten etc. Solon aus Athen, einer der Sieben Weisen hat mit einem“ Schlag“ dank seiner großartigen Reformen etwas eingeleitet, wovor natürlich die heutigen Oligarchen, das Lobbytum und die Kapitalbesitzer mehr als Angst haben: ein radikaler Schuldenerlass. Das sahen wir bei den heutigen Griechen, Spaniern und Portugiesen. Aber die Geschichte lehrt uns: erst diese Maßnahmen haben den Aufbau einer echten Demokratie eingeleitet und ermöglichten somit eine angemessene Frage nach der Gerechtigkeit.
    (Sehr gut dargestellt wird die Angst der Bürokraten in folgender Dokumentation: https://www.youtube.com/watch?v=LFNGN3HTJGk

    Ein paar Brocken Information findet man dazu in der Wikipedia unter dem Artikel Schuldenerlass => Geschichte => Schuldenerlass in der griechischen Antike
    Seisachtheia (altgriechisch σεισάχθεια, Schuldenerlass) ist ein Begriff aus dem antiken griechischen Recht. Er wird vor allem verwendet im Zusammenhang mit den gesetzgeberischen Reformen, die Solon seit 594 v. Chr. in Athen durchführte. Bei der Seisachtheia ging es darum, die einen Großteil der Bevölkerung ausmachenden Hektemoroi, die sich hoch verschuldet und ihren Grundbesitz belastet hatten, vor dem Abgleiten in völlige Verarmung und Sklaverei zu bewahren. Die wirtschaftspolitischen Reformen Solons stießen bei der Aristokratie Athens auf Widerstand. ….

    Dass solche Leute wie Neil Kashkari einen heftigen Widerstand leisten werden ist mehr als ausgemacht. Aber das soll uns nicht weiter interessieren. Es gilt der Spruch: den Mutigen gehört die Zukunft 😉

    PS: Auch hier bröckelte mehr als geplant: http://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschaftspolitik/keine-schonzeit-fuer-die-us-megabanken-1.18697738?extcid=Newsletter_19022016_Top-News_am_Morgen

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  3. Bernd Lieneweg Beitragsautor

    Theo Stenkamp kommentierte per mai:

    Hallo Bernd, hier mein Kommentar zur Veranstaltung.
    Wirtschaft im Journal am 17.02. war ein guter Anfang. Der Erfolg lag auch darin, dass als letztes ein Programmbeitrag des Satirikers Volker Pispers gezeigt wurde. Der Filmbetrag von Harald Schumann und der davor gezeigte hatten es in sich und man konnte aufgrund der Darstellung der übermächtigen Finanzlobby und Wirtschaftsgruppen in Resignation verfallen. Die Verursacher der Finanzkrise sind gleichzeitig die Profiteure (Täuschung und Betrug). Weltweite Großunternehmen plündern die Ressourcen der Erde und untergraben unsere Sozialsysteme und letztlich unsere Demokratie. Die Politiker versagen, indem sie durch entsprechende Gesetze die Ausbeutung und den Betrug legalisieren, ohne zu merken, dass sie sich selbst damit abschaffen, oder zumindest bedeutungslos machen (CETA, TTIP, etc.)

    Aber der Filmbeitrag von Volker Pispers hat die meisten der Anwesenden wieder in eine Kampfstimmung versetzt, was auch an der anschließenden regen Diskussion zu erkennen war.

    Was können wir, was kann jeder einzelne tun?
    – Kein Einkauf bei bestimmten Unternehmen (Namen öffentlich benennen,
    z.B. Keine Bestellungen beim Internetanbieter Amazon.
    – Aufklärung der Verbraucher über Missstände und Auswirkungen

    Das klingt natürlich gefährlich, ist harter Tobak, das hatten wir in der Vergangenheit in ähnlicher Form schon mal, „Kauft nicht bei Juden“, ist aber etwas völlig anderes und als regulative Maßnahme zu verstehen.

    Amazon (stellvertretend) macht unsere Volkswirtschaft, unsere Standards und Sozialsysteme kaputt. Verluste bleiben im Lande, Gewinne werden ins Ausland transferiert und somit zahlen sie hier keine oder nur geringe Steuern. Wenn Wettbewerbsgleichheit bestehen würde, dann hätten auch unsere kleinen Geschäfte, das Handwerk und die Landwirtschaft wieder eine gesicherte Zukunft. Unsere Innenstädte wären wieder belebter, weil Geschäfte erhalten blieben.

    Gemeinsam haben wir die Kraft es zu ändern.

    Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Veranstaltungsabend.

    Bis bald,
    Gruß Theo

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  4. Bernd Lieneweg Beitragsautor

    Dem Kommentar von Theo Stenkamp möchte ich hinzufügen:
    – Wählt die richtige Bank für Eure Geschäfte, es gibt mehrere ausgewiesene ethische Banken.

    Als von Attac der Bankwechsel propagiert wurde, habe ich ein Konto bei der Deutschen Bank aufgelöst und ein neues bei der GLS-Bank eröffnet. Kürzlich hat ein Azubi der GLS-Bank vor den Kunden eine Rede gehalten, die gut zu unserem Thema passt, wie ich finde.

    BILDUNG IST NICHT DAS PROBLEM, BILDUNG IST DIE LÖSUNG

    Am 15. Februar 2016 von GLS Online-Redaktion verfasst.

    Auf dem Neujahresempfang der GLS Bank plädierte unser Auszubildender Tobias Bosselmann in einer Rede der Azubis dafür, gesellschaftliche Fragestellungen auf den Unterrichtsplan der Bankausbildung zu setzen. Wir sind wahnsinnig stolz, diese jungen Menschen unsere Kolleginnen und Kollegen nennen zu dürfen!

    Wenn wir etwas für den Neujahrsempfang vorbereiten, dann möchten wir in erster Linie etwas Unterhaltsames präsentieren. Dies ist uns hoffentlich einigermaßen gelungen. Es ist uns aber wichtig, dass Sie, wenn Sie vielleicht noch einmal über diesen Abend sprechen, nicht bloß sagen: „Die Azubis haben ihre Berufsschule aufs Korn genommen.“

    Uns ist auch durchaus bewusst, dass keiner unserer Lehrer der „dunkle Lord“ ist und wir wollten heute nicht mit erhobenem Zeigefinger auftreten. Die Berufsschule sollte als Aufhänger dienen, um eine Botschaft loszuwerden, die eigentlich die gesamte Gesellschaft betrifft:

    Wenn neben dem Unterrichtsinhalt keine Zeit für gesellschaftliche Fragen ist und diese ja auch nicht Teil einer Abschlussprüfung sind, wie soll dann der beschworene Kulturwandel in den Banken beginnen?

    Das sozialwissenschaftliche Rheingold Institut in Köln kommt in einer Analyse der Wählerstimmung zur Bundestagswahl 2013 zu dem Ergebnis: Die Stimmung vieler Bürgerinnen und Bürger sei gekennzeichnet von „einer diffusen Sehnsucht nach einer permanenten Gegenwart.“ – Das ist aber das Gegenteil von „Bewegung“, von Aufbruch.

    Da ich diese Studie aufgreife, möchte ich einen der betreffenden Politiker zitieren. Peer Steinbrück hat einmal gesagt: „Der Abschied von falschen Gewissheiten ist schmerzlich, Korrekturen sind anstrengend. Deshalb blenden wir unser Wissen aus und lassen uns lieber unterhalten. „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, hieß ein berühmter Film mit James Dean. Der Film über uns müsste heißen: „Denn sie tun nicht, was sie wissen.“

    Man ist sich einig, dass der Drift zwischen arm und reich zunimmt. Da kann man z. B. Thomas Picetty nennen oder auch Joseph Stiglitz, die in langen Zeitreihenuntersuchungen feststellen, welchen Drift es in der globalen Einkommens- und Vermögensverteilung gibt. Oder man sieht sich Studien an, die ausweisen, dass 85 Menschen so viel besitzen, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Gleichzeitig wissen wir mindestens seit den 70er Jahren, dass es ökologische Grenzen des Wachstums gibt.

    Nun können wir geteilter Meinung sein, welche Antworten auf diese Probleme richtig sind. Aber wir können eben nicht der Erkenntnis ausweichen, dass diese Probleme existieren. Und darauf muss doch in Schulen, besonders in Berufsschulen, die in wirtschaftlichen Berufen ausbilden, eingegangen werden! Wie sonst soll eine Gesellschaft in „Bewegung“ kommen und ein Wandel stattfinden?

    Dass ein Wandel –gerade im Bankensektor – vonnöten ist, ist Konsens. Und das ist es, was wir kritisieren: Es braucht dringend die Schulen und Berufsschulen als Multiplikatoren kritischer Denker! Deswegen passt es zum Leitmotiv des Abends „Bewegung“. Es braucht eben genau das: Eine Bewegung, eine Ingangsetzung des kritischen Auseinandersetzens!

    Ebenso stellen wir die Frage, ob es nicht auch Vertrauen wiederherstellen würde, wenn die Öffentlichkeit wahrnimmt, dass die kritische Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Themen Teil einer Bankausbildung ist? Wenn wir nicht in einer Gesellschaft leben wollen, in dem das Motto ist: „Jeder denkt an sich, nur ich, ich denk an mich!“, dann brauchen wir dieses Verantwortungsbewusstsein. Hermann Hesse sagte mal:„Die Praxis sollte Ergebnis des Nachdenkens sein, nicht umgekehrt.“

    In der Hoffnung, etwas in Bewegung gesetzt zu haben, lautet unsere Botschaft: „Bildung ist nicht das Problem, Bildung ist die Lösung.“ Für diesen Gedanken möchten wir werben.

    GLS Bank Stiftung / ZS Bildung

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    Kommentar zu „Bildung ist nicht das Problem, Bildung ist die Lösung.“

    Heinz Peter Lemm
    Es ist sehr schön, dass Azubis gesellschaftliche Verantwortung einfordern. Es ist jedoch traurig, dass das immer noch keine Selbstverständlichkeit ist.

    19. Februar 2016 at 13:08

    Markus Gapp
    Lieber Herr Bosselmann,
    ich stimme Ihnen zu, möchte jedoch ergänzen, dass gesellschaftliche Bildung bereits in der Grundschule eingesetzt werden kann und auch soll. Leider geschieht dies noch viel zu selten bis hin zu gar nicht und wird auch häufig nicht als wichtig erachtet. Daher plädieren wir für „Bildung von Anfang an“ und beziehen uns dabei nicht nur auf Deutsch und Mathematik, sondern betrachten vielmehr das „Ganze“ – ein wesentlicher Ansatz von Maria Montessori!
    Machen Sie weiter so. Ich verbleibe mit herzlichen Grüßen
    Markus Gapp (ehrenamtliche Geschäftsführung)

    15. Februar 2016 at 17:00

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  5. Bernd Lieneweg Beitragsautor

    Noch ein Interview der „Zeit“ mit zwei GRÜNEN Politikern möchte ich Euch nicht vorenthalten.
    Und Theos Appell ergänzen und wiederholen: Immer breit informieren über Worte und Taten von Politikern und dann „das Kreuzchen an der richtigen Stelle machen!“

    Wirtschaftskrise: „Das Finanzsystem ist kaputt“

    Riesige Gehälter und zu viel Zockerei: Die Finanzkrise wurde nie überwunden, sagen die Grünen-Politiker Schick und Giegold. Sie fordern weniger Regeln – und mehr Härte.

    Interview: Alexandra Endres und Marcus Gatzke, 18. Februar 2016

    ZEIT ONLINE: Herr Schick, Herr Giegold, die Börsen sind nervös, die Kurse fallen, große Institute wie die Deutsche Bank stecken in Schwierigkeiten. Stehen wir vor einer neuen Krise?
    Gerhard Schick: Die Krise war doch nie vorbei. Trotz aller neuen Regulierungen und Gesetze wurden die grundlegenden Ursachen nie angegangen, die 2008 zum Absturz der Finanzmärkte führten. Die alten Instabilitäten sind geblieben. Es ist keine Überraschung, dass die Märkte wieder so nervös reagieren. Daher war es klar, dass da noch einmal etwas kommen würde.
    ZEIT ONLINE: Warum?
    Schick: Die Banken finanzieren ihr langfristiges Geschäft immer noch mit kurzfristig laufenden Krediten. Das ist riskant. Außerdem ist der Finanzsektor auch seit 2008 stärker gewachsen als der Rest der Wirtschaft.
    ZEIT ONLINE: Aber es sind doch so viele Institute weltweit bankrott gegangen?
    Schick: In den USA mehr als in Europa – deshalb sind die Banken dort heute auch stabiler. Insgesamt hat aber zu wenig Deleveragingstattgefunden: Die Institute finanzieren sich immer noch zu sehr durch Fremdkapital und gehen zu große Risiken ein.
    Sven Giegold: Wir haben es nicht nur mit einer Fehlregulierung von Banken, Fonds und Versicherungen zu tun, sondern mit einer makroökonomischen Schieflage. Sie ist immer noch nicht gelöst. Und solange sie nicht behoben ist, wird auch die Eurokrise weiter schwelen.
    ZEIT ONLINE: Das müssen Sie erklären.
    Giegold: Ich gebe ihnen ein Beispiel: Wenn ich als Anleger heute dem deutschen Staat Geld leihe, bekomme ich nach zehn Jahren gemessen in Kaufkraft weniger Geld zurück. Das zeigt: Das Finanzsystem ist kaputt, weil im Vergleich zur Realwirtschaft aufgebläht. Es kann nicht einfach durch strengere Regeln für einzelne Institute repariert werden. Wir brauchen stattdessen eine Politik, die Investitionen fördert und so die makroökonomischen Ungleichgewichte behebt.
    ZEIT ONLINE: Mit den aktuellen Turbulenzen an den Börsen hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun. Woher kommen die?
    Giegold: Die kurzfristigen Börsenkurse sind aus unserer Sicht nicht entscheidend für die Frage, wie es dem Finanzsystem insgesamt geht. Sie spiegeln zwar aktuelle Probleme wider: die wirtschaftliche Lage Chinas, die Schwierigkeiten der Deutschen Bank. Aber auf lange Sicht geht es darum, dass das derzeitige Finanzsystem immer zu Blasen und Fehlspekulationen neigen wird. Die Politik muss für das im Überfluss vorhandene Kapital langfristige Investitionen öffnen und zugleich kurzfristige Spekulationen bremsen.
    ZEIT ONLINE: Die niedrigen Zinsen sind doch aber politisch gewollt. Sie sollen Investitionen ankurbeln und der Realwirtschaft neue Impulse geben.
    Schick: Die Zinsen sind nicht nur aufgrund der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank so niedrig. Sie sinken bereits seit den achtziger Jahren, weil das Kapitalangebot die Nachfrage übersteigt. Das schafft immer neue Risiken.
    ZEIT ONLINE: Welche genau?
    Schick: Die Lebensversicherer etwa haben große Schwierigkeiten, ihre Leistungsversprechen aus früheren Jahren zu erfüllen. Die Banken, vor allem in Europa, verdienen kaum Geld im klassischen Kreditgeschäft, weil so wenige Kredite nachgefragt werden.
    Giegold: In vielen Industrie- und Schwellenländern wird außerdem immer mehr gespart. Die Einkommen sind immer ungleicher verteiltund die obersten zehn Prozent sparen viel mehr als der Rest der Gesellschaft. Aber auch der Mittelstand legt immer mehr für schlechte Zeiten zurück.
    ZEIT ONLINE: Aber die Ersparnisse werden nicht produktiv investiert.
    Giegold: Ja, weil die Politik die Notenbanken im Stich lässt. Die versuchen zwar, mit niedrigen Zinsen neue Investitionen anzukurbeln, aber die Politik unterstützt sie nicht. Es gab keinen Green New Deal, um die ökologische Transformation zu unterstützen. Die Politik überlässt die Verantwortung für wirtschaftliche Stabilität einseitig den Zentralbanken. Die aber können das allein nicht leisten.

    „Selbst das Schweizer Steuergeheimnis ist gefallen“

    ZEIT ONLINE: Mehr öffentliche Investitionen würden aber die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen Nord- und Südeuropa auch nicht auflösen.
    Schick: Natürlich wollen wir nicht einen weiteren überflüssigen Flughafen in Spanien bauen. Deshalb geht es uns nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität. Wir wollen die richtigen privaten und staatlichen Investitionen, um den Wandel hin zu einer umweltfreundlicheren Wirtschaft voranzubringen.
    ZEIT ONLINE: Die Unternehmen investieren aber doch nicht. Offenbar sehen sie keine Geschäftschancen.
    Schick: Aber die kann die Politik durch geschickte Entscheidungen fördern. Sie könnte beispielsweise die Energieeffizienzstandards anheben und so die Unternehmen zwingen, in die Entwicklung besserer Technologien zu investieren. Und durch strenge Abgasregeln und konsequentere Überwachung würde die Automobilindustrie sicherlich offener für die Elektromobilität
    ZEIT ONLINE: Linke Ökonomen wollen immer Geld ausgeben, egal ob die Wirtschaft wächst oder in einer Rezession steckt. Wann sparen Sie mal?
    Giegold: Wir fordern ganz bewusst kein Verschuldungsprogramm. Und gerade Länder, die jetzt schon hoch verschuldet sind, sollten nicht in eine neue Überschuldungsspirale geraten.
    ZEIT OLINE: Sie fordern mehr europäische Zusammenarbeit. Im Moment hat man eher den Eindruck, dass Europa nicht in der Lage ist, gemeinsam zu handeln.
    Giegold: Das ist doch pauschalisierende Europaskepsis. Gerade im Kampf gegen die Steuerflucht wurden Dinge erreicht, die bis vor wenigen Jahren noch undenkbar schienen: Wir haben weltweiten Informationsaustausch über Kontendaten, selbst das Schweizer Steuergeheimnis ist gefallen. Die Eurozone kann und muss wirtschaftspolitisch zusammenrücken, um eine neue Zuspitzung der Finanzkrise zu verhindern.
    ZEIT ONLINE: Aber Sie beide kritisieren, dass die Bankenkontrolle nicht funktioniert. Finanzinstitute seien noch immer zu lax beaufsichtigt. Stehen Europas Banken nicht auf viel wackligeren Beinen als gedacht?
    Schick: Die Probleme sind bekannt: In Südeuropa haben die Banken eine ganze Reihe von faulen Krediten in ihren Bilanzen. Im Kreditgeschäft sind die Erträge zu gering. Dazu kommen Rechtsstreitigkeiten wie bei der Deutschen Bank. Aus unserer Sicht gefährden vor allem die Großbanken das gesamte Finanzsystem. Die Deutsche Bank ist immer noch zu groß.
    ZEIT ONLINE: Und der Gesetzgeber soll sie kleinschrumpfen?
    Schick: Er muss die Banken zwingen, ihre Eigenkapitalquote zu erhöhen. Und er muss ein Trennbankensystem einführen. Wenn man hochriskantes Investmentbanking von anderen Geschäftsfeldern trennt, kann man im Krisenfall den Teil, der in Schwierigkeiten geraten ist, leichter abwickeln. In Deutschland ist das im Moment allerdings kein Thema – unter anderem wegen des Lobbydrucks der Deutschen Bank.
    Giegold: Auch in der EU kommt die Gesetzgebung zu den Trennbanken derzeit nicht weiter. Das Europaparlament ist nicht in der Lage, sich zu einigen. Der Ministerrat hat sogar die Vorschläge der Kommission abgemildert – auf Druck des deutschen Finanzministers Schäuble.
    ZEIT ONLINE: Ist die Europaskepsis also doch berechtigt?

    „Die deutsche Regierung macht Politik für die Deutsche Bank“

    Giegold: Die Rede, dass Europa nichts auf die Reihe bekomme, ist falsch. Es gab eine lange Reihe von Reformen am Finanzmarkt. Aber sie reichen eben noch nicht aus. Die Macht derjenigen, die man regulieren will, über die Gesetzgebung ist zu stark. In Brüssel macht die deutsche Regierung Politik für die Deutsche Bank. Die Regierungen von Frankreich, Großbritannien und Luxemburg vertreten die Interessen ihrer Großbanken. Zum Schaden der Realwirtschaft und von uns Steuerzahlern.
    ZEIT ONLINE: Wie wollen Sie die Macht der Institute brechen?
    Schick: Wir fordern deshalb ein Verbot von Unternehmensspenden an Parteien. Wir werden nur weiterkommen, wenn wir gegen den Lobbyismus etwas tun.
    Giegold: In der EU sollten die Mitgliedsländer offenlegen, welche Positionen sie in Brüssel vertreten – und mit wem sie sich zuvor beraten haben. Dann würden die Bürger feststellen, dass etwa das deutsche Finanzministerium sehr viel mit Banken redet – und sehr wenig mit Verbraucherschützern.
    ZEIT ONLINE: Sie sagen, der Finanzsektor brauche weniger Regeln, dafür aber härtere. Was heißt das konkret?
    Schick: Die bisherigen Eigenkapitalregeln sind sehr komplex. Die Banken dürfen das Risiko selbst festlegen, das die Höhe des Eigenkapitals bestimmt. Wir Grünen wollen künftig einen festen Prozentsatz der Bilanzsumme festlegen, das ist einfacher und weniger leicht manipulierbar. Außerdem sollten verantwortliche Bankmanager für Regelverstöße und kriminelles Verhalten haften. Sobald ein Manager weiß, dass er im Zweifel sein persönliches Vermögen auf’s Spiel setzt, wird er sich automatisch für eine verantwortungsvolle Geschäftspolitik einsetzen. So viel Kriminelles wie bei der Deutschen Bank würde es dann nicht geben.
    ZEIT ONLINE: Sie fordern auch, einen Teil der Managergehälter erst mit Verzögerung auszubezahlen, wenn die Geschäfte sich auf lange Sicht gut entwickeln. Wer würde für eine Bank mit solchen Regeln arbeiten wollen?
    Schick: Im Moment werden deutlich überhöhte Gehälter gezahlt. Dadurch entstehen komplexe Strukturen, die kaum noch steuerbar sind. Teilweise wird sogar kriminelles Verhalten noch gefördert. In Zukunft dürfen nicht mehr Quartalszahlen entscheidend sein, sondern die langfristige Entwicklung. Das wird die Kultur in den Banken verändern – und es werden genau die Leute bei den Banken arbeiten wollen, die Wert auf nachhaltig gute Geschäfte legen statt auf kurzfristige Spekulationen.
    ZEIT ONLINE: Aber Ihre Vorschläge zur Managerhaftung und zu den Gehältern sind politisch kaum durchsetzbar.
    Giegold: Es gibt erstaunliche Koalitionen, die sich dafür aussprechen, die Gehälter an die langfristige Geschäftsentwicklung der Banken zu koppeln. Gerade in den angelsächsischen Ländern. In den USA spielt das Thema angemessene Bezahlung eine große Rolle im Wahlkampf. Ich sehe gute Chancen, dass neue Regeln auch in Europa kommen werden.
    (zitiert aus ZEIT online)

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  6. Witold Wylezol

    Es ist sehr spannend zu verfolgen, was die in der Schweiz bekannteste Tageszeitung (NZ) zum TTIP schreibt:

    „In Deutschland wächst der Widerstand gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Dabei würden deutsche Mittelständler und ihre Kunden vom sogenannten TTIP profitieren. Wie stehen die Chancen für das Abkommen? Heute Montag treffen sich die Delegationen in Brüssel zur 12. Verhandlungsrunde (Link zum Artikel: http://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschaftspolitik/ttip-ist-nicht-boese-1.18699022?extcid=Newsletter_22022016_Top-News_am_Morgen)“

    Ein wenig Licht ins Dunkle bringen vor allem die am Ende der Seite abgedruckten Kommentare zu dem Artikel:-) Man sieht: Deutschland ist nicht alleine!

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