„Keine neuen atomaren Mittelstreckenraketen in Europa!“

„Atomwaffenverzicht muss ins Grundgesetz!“

Andreas Zumach referierte im vollbesetzten Kaminzimmer der Alten
Amtmannei in Nottuln über die Situation nach dem INF-Vertrags-Aus.

Das Thema elektrisierte die Friedensaktivisten im Kreis
Coesfeld. Knapp 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählte am
Mittwochabend die Friedensinitiative Nottuln (FI) bei einem Vortrags-
und Diskussionsabend mit Andreas Zumach. Der Journalist skizzierte die
Situation Europas nach dem Aus des INF-Vertrags und warnte von einem
neuen Wettrüsten mit atomaren Mittelstreckenraketen – für viele der
anwesenden Mitglieder der Friedensgruppen aus dem Kreis Coesfeld ein
Déjà-vus-Erlebnis. Viele der Gäste waren schon Anfang der 1980er
Jahre im Kreis Coesfeld aktiv, als mit dem „Nato-Doppelbeschluss“ neue
Pershing-II-Raketen aufgestellt werden sollten. Und so erläuterte
Zumach auch zunächst die damalige brisante Situation, als wegen der
Atomraketen Hunderttausende in Deutschland auf die Straße gingen.
Zumach: „Die Situation ist heute ähnlich, jedoch weit gefährlicher als
damals!“ Das endgütige Ende des INF-Vertrages werde zu einem neuen
gefährlichen atomaren Rüstungswettlauf der USA und Russlands in Europa
führen. Die Friedensbewegung müsse einfordern, dass Russland und die
USA noch einen ernsthaften Versuch zur Rettung des INF-Vertrags
unternehmen oder im Rahmen eines multilateralen Abkommens auch andere
Staaten mit atomaren Mittelstreckenraketen (z.B. China) in so einen
Vertrag mit einbeziehen würden. Ein endgültiges Ende des
INF-Vertrages ohne multilaterale Nachfolge hätte weitreichende Folgen.
Zumach: „Dann gibt es wieder Mittelstreckenraketen in Europa auf
beiden Seiten, schneller und treffsicherer als in den 1980er Jahren, so
dass eine Abwehr nicht mehr möglich ist. Ein technischer Fehler wird
sofort weltkriegsgefährlich.“ Im zweiten Teil des Referates ging der
UNO-Experte auf die Rolle Deutschlands genauer ein. In Militär- und
Politikkreisen würde diskutiert, dass auch Deutschland eine Verfügung
über Atomwaffen anstreben sollte. Zumindest solle sich Deutschland an
die Kosten für Atomwaffen und dann auch an Einsatzentscheidungen
beteiligen. Ausführlich nannte Zumach Details und Quellen für diese
These. Die Friedensbewegung rief er dazu auf, diese neuen Bestrebungen
öffentlich zu machen und sich dagegen zu engagieren. Andreas Zumach:
„Eine umfassende Verzichtserklärung Deutschland bezüglich der
Beteiligung an atomare Strategien gehört ins Grundgesetz.“ Die
Friedensgruppen im Kreis Coesfeld nehmen die neuen Herausforderungen an.
Das wurde am Ende des Abends deutlich. Die Pax-Christi-Gruppen aus
Lüdinghausen, Billerbeck und Coesfeld und die Friedensgruppen aus
Nottuln, Havixbeck, Senden und Dülmen laden zu zwei weiteren
Veranstaltungen ein, die sich mit einem möglichen atomaren Wettrüsten
in Europa beschäftigen. Am 25. 3. 2019 wird Winfried Nachtwei,
ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitglied der
Friedensbewegung, in Nottuln referieren. Am 16. Mai 2019 wird aus Berlin
Wolfgang Richter, Oberst a.D., Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und
Politik und der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik, nach Dülmen kommen
und die aktuelle Situation analysieren und Vorschläge machen, wie ein
neues atomares Wettrüsten verhindert werden kann. Zu Ostermontag rufen
die Friedensgruppen im Kreis Coesfeld zu einem Ostermarsch nach Dülmen
auf.

gez. Robert Hülsbusch, FI-Nottuln

Der Friedenskreis in der Agenda21Senden plant im Laufe des Jahres ebenfalls einen Vortrag mit Andreas Zumach.

Ein Gedanke zu „„Keine neuen atomaren Mittelstreckenraketen in Europa!“

  1. Bernd Lieneweg Beitragsautor

    Zur Veranstaltung mit Andreas Zumach, Mi, 13.3.2019, Nottuln, schrieb Heinz Böer:
    Teil 1: INF-Vertrag am Ende
    – USA bezichtigen Russland, den INF-Vertrag gebrochen zu haben: die neuen Raketen können weiter fliegen als angegeben
    -Russland bezichtigt die USA, den INF-Vertrag gebrochen zu haben: die Abschussstationen in Osteuropa können auch bisher seegestützte Mittelstreckenraketen abfeuern.
    Beide Vorwürfe sind bisher nicht belegt worden und es gibt auch kein Interesse, sie zu verifizieren.
    Gegenaktion der Friedensbewegung: offensives Einfordern von Verifikationen z.B. vom Außenminister Maas, der wie alle NATO-Außenminister hinter die amerikanischen Behauptungen gestellt hat, aber trotzdem fordert: Keine neuen Mittelstreckenraketen in Europa und Deutschland.

    USA und Russland haben kein Interesse, sich weiterhin durch den INF-Vertrag verpflichten zu lassen. Denn es gibt neue Atommächte mit Mittelstreckenraketen wie China und Nordkorea, Israel (?).
    Gegenaktion der Friedensbewegung: In Genf sitzt die UNO-Abrüstungskonferenz, die zur Verhandlung eines multilateralen Abkommens über atomar bestückte Mittelstreckenraketen einladen kann. Darin sitzen z.Zt. (rotierend) China, Russland, USA, Iran – also gerade Staaten, um die es geht. Weitere Mitgliedstaaten können jederzeit eingeladen werden und sich beteiligen. In die Richtung sollte Druck gemacht werden.
    Selbst wenn es zu keinem einstimmigen Beschluss (der ist dort nötig), können die Gespräche vorbereitend für eine Konferenz am anderen Ort und von einem neutralen Einlader wirken.

    Falls es zu einem Ende des INF-Vertrages ohne multilaterale Nachfolge kommt, gibt es direkte Konsequenzen:
    • Dann gibt es wieder Mittelstreckenraketen in Europa auf beiden Seiten.
    • Es kommt wieder zu einer Aufrüstungsspirale.
    • Dann wird die Situation gefährlicher als in den 80er Jahren, da die neuen Ra-keten schneller und treffsicherer sind.
    • Eine Abwehr dieser neuen Raketen ist nicht mehr möglich. Es gibt keine brauchbaren Vorwarnzeiten mehr.
    • Ein technischer Fehler wird sofort weltkriegsgefährlich.
    • Die Idee eines Enthauptungsschlages kann wieder aufkommen, der die Zweitschlagskapazität des Gegners vernichtet. Damit scheint ein Atomkrieg wieder führbar.
    und indirekte Konsequenzen:
    • Das Newstart-Abkommen über strategische Atomwaffen an Land, auf U-Booten und auf Langstreckenbombern läuft 2021 aus. Das würde vermutlich nicht fortgesetzt, da es in der neuen Aufrüstungssituation und Stationierungs-welle kein gegenseitiges Vertrauen mehr dafür gibt.
    • Alle Ideen zur Ausgestaltung des Nicht-Weiter-Verbreitungs-Abkommens von Atomwaffen werden beendet: A-Waffen-Abbau bei den Atommächten; A-Waffen-freier Naher Osten; Deutschland ohne A-Waffen-Lagerung

    Teil 2: Deutschland strebt Verfügung über Atomwaffen an

    Die Trump-Äußerungen über die NATO wurden in D genutzt, um nach Alternativen zum amerikanischen A-Waffen-Schutzschirm zu suchen. Ausweg ist eine Atomstreitmacht (ohne USA) unter Beteiligung von D.
    Es gibt zwei rechtliche Vorbehalte:
    • Die Ratifizierung des Nichtweiterverbreitungsvertrages durch D. Aber er würde juristisch erlauben, dass D in einem europaweiten Bündnis an A-Waffen beteiligt ist.
    • Das 2+4-Abkommen von 1990 beinhaltet den Verzicht auf A-Waffen für D, erlaubt aber die nukleare teilhabe im Kriegsfall (US-A-Waffen können von deutschen Flugzeugen und Piloten ins Ziel gebracht werden). Nicht ausgeschlossen ist, dass D eine Mitverfügung an A-Waffen in einem größeren Verbund hat.
    Beide einschränkenden Verträge erlauben eine sogenannte Mitverfügung Deutschlands an A-Waffen, heißt: Beteiligung an Kosten für die A-Waffen und Beteiligung an Einsatzentscheidung. Und das wird – bisher nicht öffentlichkeitswirksam – in Militär- und Politikkreisen diskutiert.
    Gegenaktion der Friedensbewegung: Die neuen Bestrebungen müssen öffentlich gemacht werden. Eine zentrale Forderung: Eine umfassende Verzichtserklärung gehört ins Grundgesetz. In der Debatte um die Forderung müssten sich die Befürworter der Mitverfügung (s.o.) outen. Einen entsprechenden Antrag gab es in den 80er Jahren schon einmal von den Grünen.

    Nebenbemerkung: Eine Mitverfügung gab es schon, als D sich an der Entwicklung von A-Waffen in Israel engagiert hat.
    (Die beiden Punkte oben und die Nebenbemerkung stehen in einem Schreiben des Gutachterdienstes des Bundestages.)

    Teil 3: Aus der Diskussion
    Wo sind die jungen Leute?
    • In den 60er- und 70er-Jahren fragten das die „alten“ Friedenskämpfer aus der Nachkriegszeit. Und dann die 80er Jahre!
    • Es ist schwieriger geworden, Menschen anzusprechen und zu anstrengendem Eigenengagement zu bewegen, da die Aufmerksamkeits- Interessenszeit-spanne inzwischen zwar schneller aktivierbar, aber sehr viel kürzer geworden ist.

    Heinz, 14.3.2019

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