Nottuln ist vielfältig – und Nottuln bezieht Position. Das war die Botschaft des Festes für Frieden, Demokratie und Toleranz, das am Freitag auf dem Kastanienplatz und auf der Stiftsstraße gefeiert wurde. Weit mehr als die erwarteten 500 Zuhörerinnen und Zuhörer – Polizei und Ordnungsamt schätzten rund 650 Personen – waren gekommen, um ein sichtbares Gegengewicht zu der in der Alten Amtmannei stattfindenden Versammlung des AfD-Kreisverbandes zu bieten. Zu dieser waren nach Angaben des Not-Vorsitzenden Martin Schiller zehn Mitglieder und zehn Gäste gekommen.
Initiative und Organisation des Festes hatten die Nottulner Grünen übernommen, unterstützt wurden sie dabei, wie Moderatorin Anke Zandman erklärte, von rund 40 Vereinen, Gruppen, den Kirchengemeinden und allen politischen Parteien Nottulns. Musikalisch mitgestaltet wurde der Abend von den Sambagruppen „Nosamba“ und „Bateria de CoeCoe“, von Ulf Georgiew auf dem Dudelsack und Bluesmusikern, die im Anschluss an die Ansprachen spielten.
Bürgermeister Dr. Dietmar Thönnes fragte sich in seiner Rede, woher die neue „Faszination des Autoritären“ kommt. Immerhin seien 0,6 Prozent der Stimmen bei der Kreistagswahl 2020 an die AfD gegangen. Deren menschenverachtenden Einlassungen hielt Thönnes positive Fakten entgegen: Eine Erinnerungskultur, die Voraussetzung dafür ist, dass nie wieder Menschen ausgegrenzt und ermordet werden, die gemeinsame Anstrengung für eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder, das Engagement für eine Politik der Menschlichkeit, der Integration und des Friedens.
„Aber unsere Demokratie hat auch 2020 noch keinen Ewigkeitswert“, mahnte er. Es gebe Fliehkräfte, die in den vergangenen Jahren größer geworden seien. Die wachsende Polarisierung verschaffe den Populisten Auftrieb. „Sie setzen das Eigene absolut, Kompromissbereitschaft tun sie als Schwäche ab, und ihr ‚Wir‘ ist lediglich eine Verlängerung des eigenen ‚Ich‘“. Überzeugende Lösungen kämen von denen, die die Parteiendemokratie abgeschrieben hätten, nicht. Es müsse aber gelingen, die Menschen zu integrieren, alte Strukturen grundlegend zu öffnen und offen für neue gesellschaftliche Realitäten zu sein. „Vor allem muss es uns gelingen, auch heute wieder glaubhaft und mitreißend Zukunft zu entwerfen.“
Bürgermeister Dr. Dietmar Thönnes Foto: Johannes Oetz
Das ist nicht leicht. „Man muss sich aufraffen für die Demokratie“, zitierte Thönnes Willy Brandts Wort „Mehr Demokratie wagen“. „Die Demokratie ist die Staatsform der Mutigen. Und das sind wir.“
Der AfD habe er nicht die Rolle des Opfers zugestehen wollen, indem er ihr als Bürgermeister die Alte Amtmannei als Versammlungsort verwehrt. Das wäre undemokratisch gewesen, so Thönnes. Vielmehr gebe man der AfD wortwörtlich sogar einen Raum für ihre Meinungen. „Aber diese Meinungen teilen wir ganz und gar nicht.“ Weniger Demokratie sei keine Alternative – nicht für Deutschland, nicht für den Kreis Coesfeld und erst recht nicht „für unser gastfreundliches, schönes Stiftsdorf!“
Genau wie Dr. Thönnes hatte auch Pfarrdechant Norbert Caßens von der Pfarrgemeinde St. Martin auf die Anfrage, ob er sprechen wolle, nicht gezögert. Viele in der Kirche hätten „zu lange geschwiegen – 1933, 1939, 1945 und danach.“ Er werde nicht vergessen, wie AfD-Poltiker Alexander Gauland nach der Bundestagswahl 2017 gesagt habe: „Wir werden sie jagen. Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen. Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“ Dieses Zitat griff Caßens mehrfach auf und hielt seine Meinung dagegen.
Ihn begeistere Demokratie, verwies er auf die Vielfalt, die sich auch in den Plakaten auf dem Kastanienplatz zeige. Er lobte die Redefreiheit, das Ringen um Meinungen, um die Erinnerungskultur, die die Opfer nicht sprachlos zurücklasse, er blicke auf die Barmherzigkeit, „jenen alten christlichen Wert, den wir heute auch Solidarität nennen“, und er denke an alle, die nicht spalten, sondern Menschen zusammenführen – von der Flüchtlingsinitiative bis zur Städtepartschaft und den Vereinen im Dorf.
Pfarrdechant Norbert Caßens Foto: Johannes Oetz
Allerdings, so Caßens, erlebe er Demokratie nicht nur als Fest. „Sie kann auch anstrengend sein.“ Im Blick auf seine elf Jahre in Nottuln habe er erfahren: „Du kannst nichts tun, nichts sagen, ohne dass nicht irgendjemand wieder was zu meckern hat.“ Aber eben das sei Demokratie: „Arbeit, richtig harte Arbeit“, zitierte er Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. Demokratie koste Zeit, Interesse, Energie, Tapferkeit, Unerschrockenheit, Demut des Zuhörens und einen langen Atem.
Demokratien müssten lernfähig sein. In pandemischen Zeiten etwa dürfen Parlamente und Bundestag nicht – der Geschwindigkeit geschuldet – auf der Strecke bleiben. Und Demokratien müssten wehrhaft bleiben. Dazu gehöre die Fähigkeit zur Toleranz. Es dürfe nicht darum gehen, die Vertreterinnen und Vertreter der AfD auszugrenzen. „Aber es geht darum, sich von ihren politischen Haltung und Äußerungen abzugrenzen, ihre Wirkung klar einzugrenzen.“ Er toleriere nicht, wenn Menschen Neid und Hass säen, rassistische und religiöse Ressentiments schüren, Antisemitismus verharmlosen und Geflüchtete dämonisieren.
Der Pfarrdechant kritisierte, dass man sich von der AfD nicht jagen lassen dürfe, indem man Feste nur da feiere, wo diese auftaucht. Er plädierte dafür, zukünftig öfter Feste für Frieden, Demokratie und Toleranz zu feiern, etwa am Europatag am 9. Mai oder am Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober. Oder vom 5. bis 12. September, wenn Nottuln sich an der Woche „1700 Jahre jüdisches leben in Deutschland“ beteilige. Dazu lade er auch die AfD-Vertreter ein, denen er zurief: „Schauen Sie aus dem Fenster: Hier ist das Volk – bunt und vielfältig. Hier ist das Land – ein Teil davon, lebendige Demokratie. Hier ist unser Dorf Nottuln – friedlich, demokratisch, tolerant.“
Den kompletten Artikel und alle Bilder findet Ihr hier auf der Kreisseite der WN
Die Agenda21Senden war Mitveranstalter und mit einer Gruppe auch anwesend.
Bernd und Joachim, beide Agenda21Senden und Attac-COE, zeigen das von Joachim entworfene und viel beachtete Banner.
Etwas abseits vor der Martinskirche standen die Landwirte mit ihren Treckern.
Das schöne, beschauliche Stiftsdorf signalisiert in überwältigender Einigkeit: Die AFD ist hier unerwünscht! Fotos: Sven